Most Wanted

Das Programm 8

Katharina Lazka betrat das Schulhaus mit demonstrativem Elan. Sie schritt auf ihren Absätzen betont aufrecht durch die Flure auf dem Weg in Zimmer 211. Die Woche Erholung hatte ihr gut getan. Diese elenden Migräne-Anfälle plagten sie schon seit vielen Jahren. Doch in den letzten Jahren war es definitiv schlimmer geworden. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass die Häufigkeit der Anfälle mit der Häufigkeit ihrer „Begegnungen“ mit Oliver Baumann korrelierten. Seit sie gemeinsam für das Disziplinarteam gewählt worden waren, hatte sich ihr gesundheitlicher Zustand noch einmal merklich verschlimmert. 

Es war nicht so, dass sie Oli nicht mochte. Jeder mochte Oli. Aber er hatte etwas an sich, dass sie regelmäßig mit den Zähnen knirschen ließ. Und seine Einstellung zu Pädagogik im Allgemeinen und zum Programm im Speziellen ließ sie oft den Wunsch verspüren, ihren Kopf gegen eine Tischplatte zu schlagen. Oder seinen.

Heute jedoch war sie wieder bereit sich allem zu stellen, was Schüler und Kollegen sich einfallen lassen würden, um an ihren strapazierten Nerven zu sägen.


Im Büro empfing sie der leicht besorgte Blick von Franziska.

„Schön, dass Sie wieder fit sind, Frau Lazka. Ähm, es gibt da ein paar Komplikationen bezüglich der Sache mit Paul S. aus der Jahrgangsstufe 13.“

„Komplikationen?“ Sie hob eine perfekt getrimmte Augenbraue.

„Nun, als Erstes sitzt Paul gerade in Ihrem Büro und wartet auf Sie. Er hat um ein Vier-Augen-Gespräch gebeten.“

„Wirklich?“ 

Was Paul wohl von ihr wollte? Sicher, sie hatte ihm ordentlich den Hintern versohlt. Aber es war doch alles nach Vorschrift verlaufen. Oder etwa nicht? Sie spürte einen leisen Zweifel, ein kleines Gefühl von schlechtem Gewissen, das sich schon wieder als leichter Druck auf den Kopf zu manifestieren begann. 

„Ja, er hat nicht gesagt, was er will, nur dass er gerne mit Ihnen sprechen möchte. Er wirkte irgendwie blass und nervös. Und ähm, Oli, ich meine Herr Baumann hat irgendwie erfahren, dass Anna-Lena neulich Zeugin von Pauls Bestrafung geworden ist. Ich weiß nicht, ob das miteinander zusammen hängt.“

Der Druck begann sich nun langsam in ein dumpfes Pochen zu verwandeln. Na toll. 

„Das sehe ich ehrlich gesagt relativ gelassen“, log sie. „Oliver hat schließlich selbst allen Grund, nachsichtig zu sein, was kleine Verstöße gegen das Protokoll angeht.“

„Das stimmt wohl. Ich hab letzte Woche etwas erlebt mit ihm, das glauben Sie nicht!“

„Ist es was Gutes? Erzähl!“

„Vielleicht später. Jetzt wartet wie gesagt der Paul auf Sie.“


Katharina seufzte und durchschritt den Vorraum in Richtung ihres Büros. Dort saß in der Tat ein genickt wirkender Paul auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Als sie die Tür öffnete, hob er seinen Kopf, um sie anzusehen. 

Er stand auf, als sie das Zimmer betrat. „Guten Tag, Frau Lazka“, grüßte er sie artig.

„Na, Paul, was kann ich für Sie tun? Setzen Sie sich doch.“

Sie konnte sehen, dass Pauls Ohren zu glühen begannen, er zögerte einen Moment, bevor er antwortete.

„Ähm, Frau Lazka, ich weiß nicht, ob Sie etwas tun können, aber wenn, dann wollte ich Sie darum bitten, ähm, also... Ich habe etwas Saublödes getan. Und jetzt wollte ich Sie fragen, ob Sie, tja, also ob Sie mich dafür noch einmal so bestrafen könnten wie sie es vorletzte Woche getan haben, bitte?“

Sie traute ihren Ohren nicht. Der Schüler bat sie um eine Bestrafung. Und wenn er um eine Bestrafung wie beim letzten Mal bat, sogar um eine recht strenge, wie sie sich erinnerte.

„Also Paul so einfach ist das nicht. Ich bestrafe Schüler und Schülerinnen für schulische Vergehen. Nicht einfach so zum Spaß. Ist es denn ein schulisches Vergehen?“

„Ähm, nicht direkt... Aber es hat etwas mit der Schule zu tun... Und ich dachte, ich habe so ein schlechtes Gewissen, ich weiß echt nicht, was ich machen soll.“

Paul wirkte aufrichtig geknickt. Gegen ihren Willen fühlte sie Neugier in sich aufsteigen darauf, was er wohl angestellt hatte. Und ein Gefühl von Sympathie für den Jungen, was eine noch viel seltenere Regung war.

„Dann mal raus damit, Paul. Was haben Sie angestellt?“

Paul holte tief Luft. Inzwischen leuchtete sein ganzes Gesicht rot wie ein Radieschen. 

„Also es ist so. Ich bin ja mit Charlotte aus meiner Jahrgangsstufe zusammen. Und wir sind auch glücklich und so. Auch wenn wir noch warten wollen, bevor... naja. Aber letzte Woche bin ich nach meiner Bestrafung Anna-Lena begegnet, die auch gerade den A... ähm den Hinte... ähm aus ihrem Büro gekommen ist. Und sie bat mich, sie in den Arm zu nehmen, und sie zu trösten. Und dann ging alles irgendwie von ganz allein. Wir sind zu ihr. Sie hat mir ihre Striemen gezeigt, ich ihr meine, um zu sehen, wer strenger bestraft worden ist. Wir haben uns gegenseitig den Po eingecremt. Und irgendwann haben wir uns geküsst. Und naja, dann noch mehr.“

„Was meinst du mit mehr? Hattet ihr Geschlechtsverkehr?“

„Ja“, entgegnete Paul kleinlaut.

„Obwohl du eine Freundin hast, die noch warten will, bevor sie Geschlechtsverkehr möchte, verstehe ich das richtig?“

„Ja. Und jetzt kann ich ihr nicht mehr in die Augen schauen! Ich hab so ein schlechtes Gewissen! Ich bekomme regelrecht Magenkrämpfe davon. Wenn sie das heraus findet, bricht es ihr das Herz. Ich kann kaum schlafen, ich kann nicht essen, ich kann mich nicht auf die Schule konzentrieren. Und reden kann ich auch mit niemandem darüber. Es frisst mich richtig auf, verstehen Sie?“

„Verständlich. Aber warum hast du es dann überhaupt getan?“

„Ich weiß es nicht. Ich hab nicht nachgedacht. Mich einfach nicht beherrschen können!“

„Und das ist vermutlich auch der Grund, warum sie noch warten will. Jungs in deinem Alter denken nicht nach. Aber Sex hat alle möglichen Konsequenzen. Doch ihr Jungs denkt nicht an Konsequenzen. Ihr denkt nur mit dem Schwanz. Und ihr könnt euch nicht beherrschen. Auch nicht, wenn ihr wisst, dass es Konsequenzen haben wird. Sobald er euch steht, denkt ihr nicht mehr weiter als bis zum Ende eurer Erektion. Hab ich nicht Recht?“

„Ähm, ich weiß nicht...“

„Natürlich habe ich Recht. Oder warum bist du sonst mit Anna-Lena ins Bett gehüpft? Bist du etwa verliebt in sie?“

„Nein, Frau Lazka.“

„Nein, bist du nicht. Ich schätze, du kannst sie noch nicht einmal besonders gut leiden, was ich übrigens absolut verstehen kann. Und du wusstest, dass es falsch ist! Wenn deine Freundin noch warten will, wartest du eben! Basta! Das weißt du auch!“

„Ja, Frau Lazka.“

„Tja, Paul. Es ist so. Jungs in deinem Alter denken nunmal an nichts anderes. Sie wollen immer nur ihr Teil irgendwo reinstecken. Und das einzige bewährte Mittel, was dagegen seit Jahrhunderten hilft, sind regelmäßige strenge Züchtigungen mit dem Rohrstock! Das bringt euch auf andere Gedanken! Hilft euch dabei euch zu beherrschen. Bringt euch Disziplin bei. Vor Allem Selbstdisziplin.“

„Ja, Frau Lazka.“

„Leider haben sich in den letzten 50 Jahren sehr unerfreuliche pädagogische Ansichten durchgesetzt. Unglücklicherweise kann ich also nichts für Sie tun. Auch wenn Sie es sicher mehr als verdient hätten, aber dafür darf ich Sie leider nicht züchtigen.“

Im letzten Satz hatte sie wieder zum formellen „Sie“ gewechselt, um zu unterstreichen, dass der vertrautere Teil Unterhaltung nun vorüber war.

Paul, in dessen Augen kurz so etwas wie Erleichterung aufgeleuchtet hatte, ließ erneut seinen Kopf hängen. Er sank sichtlich in sich zusammen auf seinem Stuhl.

„Dann entschuldigen Sie bitte die Störung, Frau Lazka.“

Der Anblick ließ erneut eine Welle streng-fürsorglicher Zuneigung in ihr aufsteigen.

„Einen Moment, Paul. Es gibt vielleicht eine Lösung.“

„Ja, Frau Lazka?“

„Du müsstest etwas anstellen, wofür du offiziell zu mir geschickt wirst. Dann kann ich dich für deine Untreue den Rohrstock spüren lassen.“

„Ich möchte nicht noch mehr Ärger, Frau Lazka. Ich will da niemanden mit hinein ziehen.“

„Das ist nicht nötig. Bei euch entfällt die ganze Woche Deutsch, hab ich Recht? Morgen bin ich bei euch als Vertretung. Dann kannst du mich am Ende der Stunde provozieren. Und ich schicke dich höchstselbst zu mir!“

Paul zuckte zusammen, Er sollte frech zu Frau Lazka sein? Vor allen Anderen? Ausgerechnet zu der Frau, die so mit dem Rohrstock umzugehen verstand? Der Frau, die er mehr als jede andere Lehrerin zu respektieren gelernt hatte?

„Ich, ich weiß nicht, ob ich das vor dem ganzen Kurs kann...“

„Dann finde es heraus. Ich werde es dann ja morgen sehen. Ach, und sei bitte kreativ dabei. Wenn du ordinär oder kindisch frech zu mir bist, setzt es extra Hiebe!“

Paul schrumpfe förmlich um einige Zentimeter in seinem Stuhl zusammen. Schließlich erhob er sich.

„Danke, auf Wiedersehen, Frau Lazka.“

„Ich freue mich schon auf das Wiedersehen!“


Katharina lächelte selbstzufrieden. Oh, sie würde das genießen, mehr noch als beim ersten mal mit ihm. Damals hatte er vermutlich provoziert, um seinen Freunden zu imponieren. Nachdem sie ihm seine Lektion erteilt hatte, war er recht kleinlaut gewesen. Aber die echte Einsicht hatte gefehlt. Umso ärgerlicher, dass diese unmögliche Anna-Lena seine Kontemplationsphase auf so ärgerliche Art und Weise gestört hatte. Dieses Mädchen!

Bei seiner anstehenden Bestrafung war das anders. Er hatte ein elend schlechtes Gewissen. Er hatte um Strafe gebeten und war bereit, sie anzunehmen. Die Züchtigung würde ihm Katharsis verschaffen. Und sie liebte es, wenn sie diesen Prozess miterleben konnte. Echte Reue, das war selten. Insbesondere bei den Heranwachsenden dieser Generation. Denen völlig falsche Erwartungen und Werte eingepflanzt wurden von so liberalen Idioten wie Oli.

Natürlich, klar, dass der als Mann das anders sah. Aber sie wusste es besser. Männer, insbesondere junge Männer, brauchten eine klare Struktur. Sie waren beherrscht von ihren Hormonen. Und das war einfach eine Zumutung für alle anderen Menschen, die die Welt mit ihnen teilen mussten. Der männlichen Sexualität Zügel anzulegen, das war die wichtigste Aufgabe der Frauen. Strenge Zügel! Sie war sehr stolz auf Charlotte, die sich nicht einfach so der männlichen Sexualität unterwarf, sondern völlig berechtigt von ihrem Freund erwartete, dass er sich für sie im Zaum hielt. Es war sehr wichtig, den Männern von Anfang an zu zeigen, wer die Entscheidungen traf. Und wenn es dann soweit war, dann würde es zu ihren Konditionen ablaufen, da war Katharina sich sicher.

Aber dann kamen so kleine Quertreiberinnen daher und mischten sich ein. Nutzten es aus, dass sich Männer so leicht um den Finger wickeln ließen. Und für was? Was sprang denn bitte für diese kleinen Flittchen dabei heraus? Ein paar Streicheleinheiten? Ein gepushtes Ego? 

Ja, Paul hatte einen großen Fehler gemacht. Aber die eigentliche Schuldige hier war ja wohl Anna-Lena. Männer dachten mit dem Schwanz, das war bekannt! Dem konnte man nur mit weiblicher Souveränität und Anständigkeit Einhalt gebieten. Was sollte ein Junge wie Paul den tun, wenn sich eine wie Anna-Lena ihm so schamlos anbot? Immer mit viel zu viel Make-Up im Gesicht? Und immer in diesen elenden engen, dünnen Leggins?

Natürlich musste man ihn dafür strafen. Und zwar streng. Damit er es lernte. Wieder und wieder, wenn es sein musste. Aber Anna-Lena war ein Problem. Unbelehrbar. Verdorben bis in ihr Innerstes! Man hätte das sehen müssen. Beim letzten mal war ziemlich offensichtlich geworden, welche Wirkung der Stock bei diesem kleinen Luder gehabt hatte! Und das war immer ein Alarmsignal. Ein Zeichen für völlige Zügellosigkeit und Verkommenheit. Eine Schande für das eigene Geschlecht! Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Da musste etwas unternommen werden. Zeit für ein Gespräch mit der Schulleiterin. Und da würde sich sicher ein Weg finden lassen, diesen notorischen Störfaktor zu entfernen. Ihrer Meinung nach hatte dieses Mädchen so oder so an einem Gymnasium nichts verloren. Und man hatte das schon viel zu lange ignoriert.

Dass Anna-Lena eines der „Haumann-Girls“ war, machte die Sache nur noch besser. Oliver wäre vermutlich mal wieder anderer Ansicht. Aber letztlich tat sie ihm einen Gefallen damit. 

Sie beschloss, sich vorzubereiten. Eine Strategie zu entwickeln. Ihr Gefühl war richtig, das war klar. Jetzt brauchte sie nur noch schlüssige Argumente, um die Schulleiterin zu überzeugen.

„Franziska! Such mir doch bitte mal die Akte von Anna-Lena heraus!“

„Liegt schon bereit, Frau Lazka.“

„Ha, was würde ich nur ohne dich tun? Was liegt heute noch an?“

„Emily hat einen Termin bei Herr Baumann.“

„Schon wieder? Leg mir die Akte doch auch gleich raus.“

„Ja, das war der Fall, über den ich sowieso noch mit Ihnen reden wollte.“



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